CranachNet:Rückkehr und Untersuchung der Breslauer Madonna

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Breslauer Madonna, Foto nach ihrem Wiederauftauchen im August 2012
Hist. Foto mit Rahmen

Bildbeschreibung

Hinter einer Steinbrüstung steht die Madonna vor einer weiten Landschaft. Sie trägt das Haar offen, das sich bis weit über die Schultern und ihren blauen Mantel legt. Vor sich hält sie das Kind in den Armen, das scheinbar ohne Gewicht über einem schwarzen Samtkissen schwebt. Ein fast unsichtbarer Schleier führt vom Kopf Marias herab und umfängt das Jesuskind als Zeichen der Verbundenheit und Reinheit. Mit sanftem Lächeln voller Innigkeit blickt die Mutter zu ihrem Kind hinab. Auch der Knabe erwidert den Blick der Mutter, während er nach einer Beere aus der Weintraube auf seinem Schoß greift. Durch die am unteren Bildrand angeschnittene Steinbrüstung wird nicht nur die Barriere zwischen Bild und Realität aufgehoben, sondern auch das Mutter-Kind-Motiv ganz nah an den Betrachter herangeführt. Das ganze Bildmotiv wird zum Fenster und Ausschnitt eines real wirkenden Bildhintergrundes. Im Bildmittelgrund steht rechts eine Tanne, an der ein großer Rindenpilz wächst. Daneben neigen sich zwei Laubbäume scheinbar zum Kopf der Madonna hin und bilden über diesem eine Art Baldachin, obwohl alle Bäume deutlich hinter der Madonna stehen. Die weite Landschaft ist belebt von einem Ritter (Mitte links), einem Landsknecht auf einer Brücke, zwei Mauleseln und einem Bauern sowie mehreren Dörfern mit Kirchtürmen. Links ragt ein steiler Felsen auf, an den sich eine Burganlage schmiegt. Im blauen Dunst der Weite erhebt sich ein gewaltiges Gebirge, das zum Teil noch mit Schnee bedeckt scheint. Links neben dem Kissen liegt ein Goldring mit einem eingelassenen Petschaft (Siegelstempel), das die seitenverkehrten Anfangsbuchstaben Lucas Cranachs sowie eine geflügelte Schlange zeigt.

Größe

71 x 51 cm

Technik

auf Lindenholz

Zustandsbericht

  • Hofbauer: Die Tafel wurde am 22.11.2012 besichtigt. Die Malerei ist im Wesentlichen gut erhalten.

Als Malträger wurde eine Lindenhoztafel aus vier querverleimten Brettern unterschiedlicher Breite verwendet. Das obere Brett weist oben und unten rechts je einen spannungsbedingten Einriss von ca. 10 cm auf, die von der Tafelrückseite her im Randbereich mithilfe einer in Gegenrichtung aufgeleimten Holzschindel verleimt sind. An den Längsseiten befinden sich insgesamt je 5 Holzschindeln, die offensichtlich zur Überbrückung der Leimfugen aufgebracht wurden. Zusätzlich wurden zur Sicherung der Brettverleimungen 9 schwalbenschwanzförmige Holzschindeln in die Tafel eingelassen. Verwölbungen der Bretter sind nicht festzustellen. Über die komplette Tafelfläche ist mäßiger alter Befall durch Holz zerstörende Insekten festzustellen. Die Ecken, insbesondere oben, sind ausgebrochen. Am oberen und unteren Rand wurden die Bretter gedünnt und durch eine aufgeleimte Leiste aus Kiefernholz (evtl.Tanne)verstärkt. Besonders am unteren Rand sind oberhalb der Aufleimung angeschnittene alte Fraßgänge (Anobium punctatum) zu erkennen. Da die Tafel unten um ca. 5mm besäumt wurde, wie am veränderten Abstand zu den übrigen Malkanten abzulesen ist, dürfte eine Holzschädigung Grund für die Dünnung und Anbringung der Nadelholzleisten sein. An der oberen Leiste befinden sich Reste eines Papieraufklebers mit blau aufgedrucktem Schmuckrand, der vom Anfang des 20. Jahrhunderts stammen könnte. Die komplette Tafel wurde am Rand mit einem aufgeklebten Band versehen, das erst nach der neueren Anleimung der Nadelholzleisten aufgebracht wurde. Die komplette Tafelrückseite ist bis ca. 4 cm an die parkettierten Tafelränder heran mit einem Papier (?) kaschiert. Die Kaschierung ist entlang der Brettfugen getrennt. Stärkere Verputzungen der Malschicht sind nicht festzustellen. Retuschen sind nur unwesentlich vorhanden. Im rechten Bildbereich sind winzige Farbabsplitterungen zu verzeichnen. Besonders in der unteren Bildhälfte hebt sich die Malschicht schollenförmig leicht ab.

Die Leimfugen der beiden unteren Bretter sind retuschiert und weisen leichte Verputzungsspuren auf. Verkittungen sind nicht zu erkennen. Besonders das untere Brett wurde bei einer Reparatur nicht exakt angeleimt. Es weist einen leichten Höhen- und Flächenversatz auf. Die Malschicht ist mit einem vergilbten alten Firnis überzogen, der im Bereich der oberen rechten Ecke von etwa 10 x 10 cm durch Lösemittel beschädigt und leicht krepiert ist.

Empfehlung für eine Bestandssicherung und optische Verbesserung des Gesamteindrucks:

  • 1. Reinigung der Malfläche
  • 2. (Teil-) Abnahme des nicht originalen Firnis
  • 3. Festigung und Niederlegung der losen Farbschollen
  • 4. Entfernung der Retuschen im Bereich der Leimfugen
  • 5. Anschließende Prüfung der Möglichkeit, die Verleimung zu lösen und zu erneuern
  • 6. Alternativ zu einer Neuverleimung: Verkittung und Retusche der Fugen

Der gute Erhaltungszustand und hohe Anteil orignaler Malsubstanz dürfte einen dezenten restauratorischen Eingriff rechtfertigen, insbesondere da wichtige Bilddetails wie der Kopf des Jesuskindes, sein Arm sowie die Traube von der Beschädigung betroffen sind und der Gesamteindruck dadurch optisch erheblich beeinträchtigt wird.

Eine Verspannung der Holztafel mithilfe eines Rahmens oder andere statische Aussteifungen, wie von Seiten der Museumsleitung vorgeschlagen, sollte nochmals geprüft werden. Bei entsprechender klimatischer Aufbewahrung sind weitere Verwölbungen oder ungünstiges "Arbeiten" des Holzes nicht zu erwarten. Es wird vielmehr vorgeschlagen, die Holztafel keinem mechanischen Druck auszusetzen und sie in einer klimatisierten Rahmung "schwebend" aufzubewahren.

Hierbei konnten mit folgendem System bereits gute Erfahrungen gemacht werden: Die Bildtafel wird in eine Dampf bremsende Verbundholz-Platte eingelegt, in die eine passende Vertiefung eingearbeitet wurde. Diese "Bildträger-Kassette" wird mit schwarzblauem Samt ausgekleidet. Mithilfe eines verglasten Rahmens wird das System geschlossen, wodurch ein ausgeglichenes hygroskopisches Kleinklima entsteht. Dieses System hat zudem weitere Vorteile, da aufwendige und kostenintensive Raumklimatisierungen stark reduziert werden können, die Bildtafel durch Sicherheitsglas vor Beschädigungen geschützt werden kann und damit der Sicherheitsabstand für Betrachter verringert werden kann.

Bemerkungen

Max J. Friedländer und Jakob Rosenberg in F/R 1979 datieren die Tafel aus stilkritischen Erwägungen auf die Zeit um 1510 und führen aus: „Die Verwandtschaft des Madonnenkopfes in Haltung und Typus mit Dürers Dresdener Madonna, die sich damals in der Schlosskapelle zu Wittenberg befand, ist gewiss nicht zufällig. Gerade von 1510 bis 1514 häufen sich die Fälle eines neuen Dürereinflusses (Vgl. Nrn. 44, 46, 48 und 54), der sich hier auch in dem Einschlag zeichnerischer Strenge und der aquarellartig hellen Farbgebung der Landschaft verrät.“ Dieter Koepplin (in Kat. Basel 1974) datiert die Tafel auf um 1509/10 und zählt sie zu denjenigen Madonnen, die unter dem reichen Bestand von etwa 150 bekannten Cranach-Madonnen durch Qualität und Einzigartigkeit herausragen.

Bereits Flechsig weist 1900 auf den offensichtlichen Fehler in der Namensgebung hin: „Die übliche Bezeichnung des Bildes als "Madonna unter den Tannen" ist falsch, sie kann nur auf sehr flüchtiger Betrachtung beruhen, weil nur eine große Tanne auf dem Bilde zu sehen ist und Maria überhaupt nicht unter Bäumen dargestelt ist, diese vielmehr den Hintergrund bilden.“ (Flechsig, Tafelbilder, S. 12, Nr. 13)

Historische Aufnahmen:

Pressemeldungen:

Aufnahmen 2012:

IRR

Infrarotreflektogramm Gesamtaufnahme
Hervorhebung des in der Unterzeichnung sichtbaren Augen-Pentiments
  • Hofbauer: Am 22.11.2012 wurde im Dommuseum Breslau eine Untersuchung mittels Infrarotreflektografie durchgeführt.

Signifikante Unterzeichnung wird im Reflektogramm besonders in den transparent erscheinenden blauen und roten Flächen des Mariengewandes sichtbar. Weniger deutlich kontrastierend, doch im Bildabgleich mit dem Original sicher bestimmbar sind Spuren wässriger Zeichnung im Bereich der Inkarnate von Mutter und Kind.

Auffällig ist die wahrscheinliche Verwendung eines Pinsels als Zeichenmedium, der rechts am Ärmel des blauen Umhangs in schwungvollem Duktus zum Einsatz kam. Hier stehen unterschiedlich starke Linien nebeneinander, die mit ihren an- und am Strichende wieder abschwellenden Dicken eher für einen breiteren Haarpinsel sprechen als für einen Federkiel. Die längeren, in einem Zug gesetzten Linien weisen keinerlei Anzeichen von Unsicherheit auf, sondern sprechen für eine zügige und freie Arbeitsweise. Wie bei anderen Cranach-Werken nachweisbar, wird diese freie Arbeitsweise begleitet von einer definierten Übertragungsroutine mittels Form gebender dünner Linien, deren Technik im vorliegenden Fall nicht näher verifizierbar ist. Pausspuren lassen sich jedoch nicht nachweisen. Interessant ist in diesem Zusammenhang der waagerecht liegende Unterarm des Kindes, dessen Kontur eine deutliche Korrektur erfahren hat, indem der Arm nach oben versetzt wurde. Dadurch wird die ursprüngliche Zeichnungslinie vom Unterarm bis zum Daumen sichtbar. Eine weitaus wichtigere kompositionelle Änderung offenbart die helle Fläche des rechten Augenlids der Madonna. Offensichtlich wurde nachträglich die Blickrichtung zum Kind nach unten korrigiert. Das komplette Auge erscheint inklusive Iris und Pupille mit flacherem Blick nach links, wodurch der gewollte Blickkontakt zum Kind beeinträchtigt gewesen wäre. Rechts entlang der Schulterlinie zeigen sich in sanftem Schwung die weiter nach unten führenden Haarsträhnen, die so nicht zur Ausführung kamen. Eine geringfügige Korrektur erfuhr auch der Ringfinger der linken Marien-Hand.

Seitlich des rechten Knies des Kindes zeigen sich die für den Individualstil Cranachs des Älteren typischen Doppelsichelhäkchen. Ergänzend hierzu sind (wenn auch flüchtig) die bei Cranach häufig nachzuweisenden riegelförmigen Faltenmarkierungen mit angesetzten Sichelhäkchen. Wenn auch in ihrem Kontrast dezent zurückgenommen, sind sie doch Beleg für eine formelhafte Verwendung von den frühen Arbeiten (Heilige Familie in einer Landschaft) bis in das cranach'sche Spätwerk hinein.

Datierung

  • FR 1979: um 1510

Provenienz

Das Bild befand sich lange Zeit im Breslauer Dom, verschwand jedoch in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, während nach dem Krieg eine Kopie in Breslau verblieb. Bereits in F/R 1979 wird angedeutet, dass das echte Bild noch existiert und wiederholt auf dem internationalen Kunstmarkt angeboten wurde.

Telefonische Mitteilung von Dieter Koepplin vom 22.08.2012 an Hofbauer (Gesprächsnotiz):

  • "Ich habe das Bild damals in Genf besichtigt."

Telefonische Mitteilung von Dieter Koepplin vom 24.08.2012 an Hofbauer (Gesprächsnotiz):

  • 1969 bekam ich von Heinz Kisters ein Foto der Breslauer Madonna, die ihm angeboten wurde. Kisters wollte dem damaligen Besitzer ein Angebot über 500.000,- DM machen.
  • 1971 besichtigte ich in seinem Auftrag das Bild in einem Safe in Genf. Dabei waren zwei Männer mit Namen Lehmann und Thomas Gstatter. Zuvor hatte ich ein Schreiben erhalten, in dem als möglicher Besichtigungsort München oder Basel angeboten worden war. Den von Kisters gebotenen Preis teilte ich dort auch mit, zu einem Verkauf kam es jedoch nicht, da das Angebot zu niedrig war. Kisters hat damals die Kirche von dem Angebot informiert sowie eine rechtliche Prüfung der Verkaufssituation veranlasst. Diese Prüfung deutete nicht auf eine strafbare Handlung hin, denn bis zu diesem Zeitpunkt war das Bild weder offiziell als Diebstahl gemeldet noch liefen Ermittlungen. Auch innerhalb der Kirche war der Fall ungeklärt, denn das Kirchengut des Breslauer Doms gehörte zu diesem Zeitpunkt noch der deutschen Diözese von Breslau und erst auf Veranlassung des Papstes wurde es der polnischen Kiche zugeordnet. Ich habe einen Tag vor der Besichtigung, die dann doch nicht in München oder Basel, sondern in Genf stattfinden sollte, die polnische Botschaft informiert. Von dort habe ich jedoch nie eine Antwort erhalten. Zu diesem Zeitpunkt war offensichtlich der Münchner Kunsthändler Toussaint der Besitzer.
  • 1973 meldete sich ein Herr Bergmeister bei mir und bezeichnete sich als Besitzer.
  • Am 20.04.1983 kam ein Telefonanruf von einer Frau Marianne Veilchenfeld (Tochter von Leo Cassirer?), einer Kunsthändlerin in Zürich, die davon sprach, die Kirche würde für die Tafel 1,5 Mio DM (?) bieten.
  • 1987 kam eine Telefonanruf eines Herrn Rolf Möllendorf (ein Deutscher, der in Südfrankreich lebte), der sich als Vermittler der Madonna bezeichnete.

Im März 1994 meldete sich der Berliner Maler Georg Kupke schriftlich bei Dieter Koepplin und beteuerte, die Tafel einst gesehen und kopiert, jedoch keinerlei Retuschen am Original ausgeführt zu haben.

Im August 2012 ist das Bild überraschend an offizielle polnische Stellen zurückgegeben worden.

  • Hofbauer: Am 11.09.2012 macht mich Dieter Koepplin auf einen Leserbrief in der FAZ NR. 127 vom 4. Juni 1982 (S.9) aufmerksam. Darin meldet sich der Apostolische Visitator der Katholiken aus dem Erzbistum Breslau, Düsseldorf, zu Wort:

Die dpa-Meldung "Cranach-Madonna aus Breslau" in der FAZ vom 14. April bedarf einer Berichtigung: Die "Madonna unter den Tannen" von Lucas Cranach war Eigentum des Breslauer Domkapitels; sie wurde im Domschatz aufbewahrt. Anfang 1945 wurde das Bild nach Hirschberg ausgelagert. Archivdirektor Engelbert, Kustos des Domschatzes, brachte es im Sommer 1945 wieder nach Breslau zurück. Vor seiner Vertreibung 1946 übergab Engelbert das Bild den Domherren Lukaszczyk und Niedzballa, die nicht vertrieben wurden. 1948 haben diese Domherren das Bild dem damaligen Administrator Milik für dessen Privatkapelle übergeben. Die Übergabe wurde auf der Rückseite des Bildes beurkundet, das Bild als eine Leihgabe des Domkapitels ausgewiesen. 1950 trat an die Stelle von Milik Herr Lagosz - ein auch unter den Polen umstrittener Priester. Er wurde 1956 abgelöst.
Schon 1961 tauchte die Cranach-Madonna im westlichen Kunsthandel auf. Als Besitzer wurde eine dubiose (real nicht existierende) Körperschaft genannt, später ein Spanier, den niemand kannte. Von polnischer Seite stellte man in den sechziger Jahren fest, daß die Madonna in der bischöflichen Kapelle in Breslau eine Kopie war. Prompt wurde der Vorwurf verbreitet, die Deutschen hätten das Original verschoben - also in etwa das, was die dpa-Meldung jetzt andeutet.
Die Version entbehrt jeder Grundlage. Es besteht kein Zweifel daran, daß das Original 1948 dem Administrator Milik übergeben wurde (erkennbar an einer Leimung, die nach dem Rücktransport nach Breslau notwendig war). Schon damals, und erst recht in den fünfziger Jahren, hätte kein Deutscher auch nur die geringste Möglichkeit gehabt, an das Bild heranzukommen, schon gar nicht, es über die Grenze zu bringen.
Die Unterlagen zu dem hier Gesagten sind lückenlos vorhanden. - Wer die Situation im Breslau der Jahre 1950–1956 kennt, wird aber unweigerlich die Frage stellen, was unter der Ägide von Herrn Lagosz dort geschehen ist. Fest steht, daß es kein Deutscher war, der das Bild über die Grenze gebracht hat.

Aufbewahrungsort

  • Wrozlaw (Breslau), Dom/Dommuseum (ab 2012)

Literatur

  • Joseph Heller: Lucas Cranachs Leben und Werke, II. Auflage, Nürnberg 1854, S. 57. (online)
  • Lutsch: Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Schlesien I S.178

Vorlage:Förster 1898 Vorlage:Kat. Dresden 1899