CranachNet:Rückkehr und Untersuchung der Breslauer Madonna

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Fast eine Weihnachtsgeschichte

(Anm. der Autoren: Der Text nimmt auch Bezug auf Literatur, die im Artikel der cranach.net-Datenbank hinterlegt ist sowie auf Angaben von Dieter Koepplin)

Eines der Hauptwerke des Renaissance-Malers Lucas Cranach d.Ä. kehrte im Sommer 2012 überraschend unter mysteriösen Umständen nach Wrozlaw (Breslau) zurück. Das heute etwa 20 Mio. Euro wertvolle Tafelbild war in den Wirren der Nachkriegszeit verschwunden und durch eine Kopie ersetzt worden. Erst bei Restaurierungsarbeiten stellte sich das vermeintliche Original als Fälschung heraus. Gleichzeitig wurde die echte Madonna im Westen unter der Hand zum Kauf angeboten, doch ihr Aufbewahrungsort blieb nach wie vor unbekannt. Bis 1971: Im Auftrag des deutschen Kunsthändlers Heinz Kisters besichtigte der Baseler Cranach-Experte Dieter Koepplin das Bild in der Schweiz und befand es für echt. Zu diesem Zeitpunkt war es sich offensichtlich im Besitz eines Münchener Kunsthändlers.


Breslauer Madonna, Foto nach ihrem Wiederauftauchen im August 2012


Merkwürdigerweise war das Kunstwerk gar nicht als gestohlen gemeldet, so dass Koepplins Anzeigen bei der Münchener Staatsanwaltschaft und der polnischen Botschaft ohne Wirkung blieben. Der passionierte Cranach-Sammler Kisters, der sich für den Erwerb des Bildes interessierte, wollte im Auftrag der Kirche gehandelt haben. Der angebotene Kaufpreis von einer halben Mio. DM schien dem Besitzer jedoch zu niedrig gewesen zu sein, denn zu einem Verkauf kam es – offiziell – nicht. Wenn nun 40 Jahre später die Rückgabe in St. Gallen stattfand, dem Ort, in dem die 2010 gegründete Stiftung Heinz Kisters im Handelsregister eingetragen ist, so darf darüber spekuliert werden, ob nicht das Bild all die Jahre am Schweizer Ufer des Bodensees versteckt war.

Den Kopisten Georg Kupke, der bis zu seinem Tod in Berlin als Kunstmaler wirke, plagte derweil das schlechte Gewissen, obwohl er damals in bester Absicht gehandelt hatte und im Auftrag eines Kaplans die schöne Maria vor dem Zugriff von Plünderern beschützen wollte. 1994 schrieb er an Koepplin: „... mich bedrückt es, seit ich erfahren habe, daß es sich in der Schweiz befindet, warum man es nicht in der Öffentlichkeit zeigt. Denn LC hat es gewiß nicht gemalt, um es verborgen zu halten.“


Ausschnitt aus dem Brief des Kopisten Georg Kupke


Sein Wunsch geht nun erst nach seinem Tod in Erfüllung: Am Heiligabend 2012 soll Cranachs Maria das Christuskind der Öffentlichkeit präsentieren. Der Direktor des Diözesanmuseums, Ks. Jozef Pater, hat bis dahin noch viel Arbeit. Nach einem Konzept des Heidelberger Kunsthistorikers Michael Hofbauer werden eigens Ausstellungsräume geschaffen, die auch den Aspekt der Sicherheit berücksichtigen. Als Leiter des Forschungsprojekts cranach.net war er auch der erste Wissenschaftler, der die Tafel untersuchen durfte. Mithilfe so genannter Infrarotreflektografie, einem Verfahren zur Durchleuchtung der Malschichten, konnte die Unterzeichnung der Madonna sichtbar gemacht werden. „ Es ist jedes Mal wieder faszinierend, die Zeichnung zu sehen, die letztmals und ausschließlich der Maler vor seiner Arbeit zu Gesicht bekam, in diesem Fall vor mehr als 500 Jahren!“, zeigt sich Hofbauer begeistert. Wichtig für die Kunstwissenschaft ist die neue Erkenntnis, dass Cranach die innige Beziehung zwischen Maria und ihrem Kind sehr wichtig war, denn er hat die Blickrichtung der Mutter im Malprozess nach unten verändert. Das ursprünglich angelegte Auge ist noch deutlich zu sehen.


Infrarot-Untersuchung des Gemäldes am 22. November 2012 durch Dr. Michael Hofbauer in Breslau


Kunsthistorisch interessant und einmalig im Werk Cranachs, durch dessen Werkstatt hunderte von Madonnen gegangen sind, ist die Signatur. Unten links auf der Brüstung liegt minutiös ausgeführt Cranachs persönlicher Siegelring. Eine Schlage mit Fledermausflügeln, einem Krönlein sowie einem goldenen Rubinring im Maul. Darüber seine Initialen „LC“. Am Dreikönigstag des Jahres 1508 erhielt Cranach von seinem Kurfürsten Friedrich III, genannt der Weise, einen Wappenbrief verliehen.

Da für das Bild ein Entstehungszeitraum zwischen 1508 und 1509 in Betracht kommt, könnte die Art der Signatur in direktem Zusammenhang mit Cranachs Wappenverleihung am Dreikönigstag 1508 stehen.

Madonna unter den Tannen?

Bereits im Jahr 1900 hat der Cranach-Forscher Eduard darauf hingewiesen, dass es sich bei der Namensgebung der „Madonna unter den Tannen“ um einen offensichtlichen Fehler handelt. Zum einen ist auf dem Bild nur eine einzige Tanne zu sehen und zum anderen stehen die Bäume deutlich im Hintergrund. Die schöne Madonna befindet sich also nicht „unter den Tannen“, sondern hinter einer Mauerbrüstung vor einer weiten Landschaft mit Bäumen.


Historisches Foto des Gemäldes vor 1945, mit Rahmen


Es ist eine Erfindung von Lucas Cranach, seine dargestellten Heiligen in das natürliche Umfeld der realistisch gemalten heimatlichen Landschaften einzubetten. Rechts unten reitet ein Ritter mit einer Lanze, dahinter scheint ein Landsknecht im Laufschritt einen steinernen Steg zu überqueren. Noch weiter hinten treibt ein Bauer zwei bepackte Maultiere in Richtung einer der Städte, die, im Mittelgrund und Hintergrund durch Kirchtürme markiert, aus der Landschaft herausragen. Dass die Landschaft für Cranach mehr bedeutete als erzählende Kulisse, zeigen die vielen naturalistischen Details wie die bemoosten Baumstämme, auf denen sogar ein Rindenpilz wächst, die von Flechten überzogenen Äste oder die fein differenzierten Blattkulissen.

Obwohl die Bäume weit hinter der Madonna stehen, scheinen sie sich doch direkt auf die Madonna zu beziehen, indem sie sich über ihr zu einem schützenden Dach neigen und ihre Äste den Madonnenkopf fast zärtlich umspielen.

Die Mutter-Kind-Beziehung

In derselben Zärtlichkeit, mit der die Natur das Hauptmotiv umfängt, hält die Mutter direkten Blickkontakt zu Jesus, ihrem Kind. Sie hält das nackte, unschuldige, Kind vorsichtig über einem prunkvollen Samtkissen. Mit ihren weichen Formen und der intimen Schilderung inniger Mutter-Kind-Beziehung folgt die Darstellung zwar noch der alten Tradition der so genannten „schönen Madonnen“. Doch in Kombination mit der nahezu „fotorealistischen“ Wiedergabe erhält das Werk eine herausragende Stellung innerhalb der altdeutschen Malerei.

Der Weinstock und die Traube stehen bereits in alten Bildwerken für Christus und das Leben, aber auch für das Blut Christi und seine Auferstehung. Cranach hat sich in zahlreichen seiner Madonnen-Darstellungen dieses Attributes bedient, das er hier ebenso lebendig darstellt wie die kleinen Kinderhände, die danach greifen. Dieser Gestus sowie der direkte Blick zur Mutter lassen den Betrachter nicht nur den Moment erleben, in dem das Kind eine Beere greift, sondern weiterdenken, wie es die Frucht der Mutter reichen wird. Genau diese Momente werden in zahlreichen späteren Madonnen-Darstellungen Cranachs gezeigt.

Die Burg

Meist wird die Landschaft in Cranachs Bildern von einer Burg auf steil empor ragenden Felsen bekrönt. Es sind die ihm vertrauten Schlösser und Türme seiner fränkischen Heimat, möglicherweise auch die beeindruckenden Burgen entlang der Donau, wie er sie um 1500 vorfand, bestimmt aber die prunkvollen Bauten der Wettiner im kursächsischen Stammland, in dem er fast 50 Jahre gewirkt hat. Möglicherweise hat sich der Reformator Martin Luther von den Burgen seines Freundes Cranach zu dem Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ anregen lassen.


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Der Ring

Hunderte von Madonnenbildern sind in der Cranach-Werkstatt zwischen 1505 und 1550 entstanden. Einzigartig ist unsere Madonna nicht nur durch die meisterhafte Kunst ihrer Darstellung, sondern auch durch den Ring, der links neben dem Kissen auf der Steinbrüstung liegt. Er dürfte für ein ganz besonderes Verhältnis Cranachs zu diesem Bild stehen, denn er stellt ohne Zweifel den persönlichen Siegelring Lucas Cranachs dar, der oben mit Cranachs Initialen „LC“ versehen ist.


Detail: Ring mit Wappen Lucas Cranachs und spiegelverkehrten Initialen LC


Am Dreikönigstag des Jahres 1508 erhält Cranach von seinem Kurfürsten Friedrich III, genannt der Weise, einen Wappenbrief und darf fortan das Siegel einer geflügelten und bekrönten Schlange führen, die einen goldenen Rubinring im Maul trägt. Warum hat Cranach gerade der Madonna seinen Ring beigegeben? Will er mit dieser Signatur stolz seine neue Würde sichtbar machen? Sucht er möglicherweise nach einem einzigartigen Signet zur Authentifizierung seiner Werke? Oder handelt es sich um eine persönliche Botschaft an einen unbekannten Adressaten?

Die Art der Darstellung der Schlange entspricht dem Typus, den Cranach um 1509 mehrfach verwendet hat. Da die Physiognomien von Madonna und Kind nicht die italienische Stilistik Peruginos aufweisen, wie sie ab 1509 bis etwa 1512 bei seinen Madonnen zu beobachten ist, kommt ein Entstehungszeitraum zwischen 1508 und 1509 in Betracht. Damit könnte der Ring in direktem Zusammenhang mit Cranachs Wappenverleihung stehen.

Ob die auffällig sorgsam und minutiös ausgeführte Madonna ursprünglich ein Dankes-Geschenk für den Kurfürsten war oder gar ein Huld-Geschenk für Maximilian I, der nur 4 Wochen nach Cranachs Wappenverleihung in Trient die Kaiserwürde erhielt, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Fest steht, dass Cranach nur ein einziges Mal seinen Wappenring auf einem Gemälde platziert haben dürfte.

Die Unterzeichnung

Bevor Cranach mit der Ausführung des Gemäldes begonnen hat, hat er seinen Entwurf auf die grundierte Holztafel übertragen. Diese „Unterzeichnung“ war nicht für das Auge des Betrachters bestimmt, sondern stellte eine technische Hilfe für den Maler dar.

Mithilfe der so genannten Infrarotreflektografie ist es möglich, die Unterzeichnung sichtbar zu machen. Da einige Farbpigmente infrarotes Licht bestimmter Wellenlängen nicht absorbieren, erscheinen sie transparent. Insbesondere die auf den Grundierungen liegende Zeichnungen, die in Infrarot absorbierenden Materialien ausgeführt wurden, z.B. kohlenstoffhaltige Tuschen, Steinkreiden oder Knochenkohlen, zeichnen sich in den aus der Analyse des Reflektionsverhaltens errechneten Graustufen-Bildern dunkel ab, auch wenn sie mit bloßem Auge durch die Überlagerung mit nicht absorbierenden Malschichten nicht wahrgenommen werden können.

Es ist ein besonderes Erlebnis, mit moderner Technik eine Zeichnung sichtbar machen zu können, die zuletzt der ausführenden Maler vor 500 Jahren sehen konnte.


Infrarot-Reflektogramm der Breslauer Madonna. Aufnahme: Michael Hofbauer, 22. November 2012


Signifikante Unterzeichnung ist bei der Madonnentafel besonders in den transparent erscheinenden blauen und roten Flächen des Mariengewandes sichtbar. Weniger deutlich kontrastierend, doch im Bildabgleich mit dem Original sicher bestimmbar sind Spuren wässriger Zeichnung im Bereich der Inkarnate (Hauttöne) von Mutter und Kind.

Auffällig ist die wahrscheinliche Verwendung eines Pinsels als Zeichenmedium, der rechts am Ärmel des blauen Umhangs in schwungvoll zum Einsatz kam. Hier stehen unterschiedlich starke Linien nebeneinander, die mit ihren an- und am Strichende wieder abschwellenden Dicken eher für einen breiteren Haarpinsel sprechen als für einen Federkiel. Die längeren, in einem Zug gesetzten Linien weisen keinerlei Anzeichen von Unsicherheit auf, sondern sprechen für eine zügige und freie Arbeitsweise. Wie bei anderen Cranach-Werken nachweisbar, wird diese freie Arbeitsweise begleitet von einer definierten Übertragungsroutine mittels Form gebender dünner Linien, deren Technik im vorliegenden Fall nicht näher verifizierbar ist.

Interessant ist in diesem Zusammenhang der waagerecht liegende Unterarm des Kindes, dessen Kontur eine deutliche Korrektur erfahren hat, indem Cranach den Arm nach oben versetzt hat. Dadurch wird die ursprüngliche Zeichnungslinie vom Unterarm bis zum Daumen sichtbar. Eine noch wichtigere kompositionelle Änderung offenbart die helle Fläche des rechten Augenlids der Madonna. Offensichtlich wurde nachträglich die Blickrichtung zum Kind nach unten korrigiert, um noch intensiveren Blickkontakt zu erhalten.


Ausschnitt aus der Infrarotreflektografie des Madonnenkopfes. Die Blickrichtung des Auges (rote Markierung) war ursprünglich flacher gedacht, wodurch kein direkter Blickkontakt zum Jesuskind entstanden wäre.


Das komplette Auge erscheint inklusive Iris und Pupille mit flacherem Blick nach links, wodurch der gewollte Blickkontakt zum Kind beeinträchtigt gewesen wäre. Rechts entlang der Schulterlinie zeigen sich in sanftem Schwung die weiter nach unten führenden Haarsträhnen, die so nicht zur Ausführung kamen. Eine geringfügige Korrektur erfuhr auch der Ringfinger der linken Marien-Hand.

Die Holztafel

Tafelrückseite der Breslauer Madonna


Die Holztafel hat die Abmessungen 71,0 x 51,0 cm. Sie ist aus 4 quer zur Längsrichtung verleimten Lindenholzbrettern hergestellt. Diese Praxis der Tafelherstellung ist als typisch für frühe Cranach-Werke anzusehen. Die Leimfugen sind im Infrarotreflektogramm deutlich zu erkennen.


(Michael Hofbauer, 21. Dezember 2012)


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