CranachNet:Rückkehr und Untersuchung der Breslauer Madonna
Fast eine Weihnachtsgeschichte(Anm. der Autoren: Der Text nimmt auch Bezug auf Literatur, die im Artikel der cranach.net-Datenbank hinterlegt ist sowie auf Angaben von Dieter Koepplin) Eines der Hauptwerke des Renaissance-Malers Lucas Cranach d.Ä. kehrte im Sommer 2012 überraschend unter mysteriösen Umständen nach Wrozlaw (Breslau) zurück. Das heute etwa 20 Mio. Euro wertvolle Tafelbild war in den Wirren der Nachkriegszeit verschwunden und durch eine Kopie ersetzt worden. Erst bei Restaurierungsarbeiten stellte sich das vermeintliche Original als Fälschung heraus. Gleichzeitig wurde die echte Madonna im Westen unter der Hand zum Kauf angeboten, doch ihr Aufbewahrungsort blieb nach wie vor unbekannt. Bis 1971: Im Auftrag des deutschen Kunsthändlers Heinz Kisters besichtigte der Baseler Cranach-Experte Dieter Koepplin das Bild in der Schweiz und befand es für echt. Zu diesem Zeitpunkt war es sich offensichtlich im Besitz eines Münchener Kunsthändlers.
Den Kopisten Georg Kupke, der bis zu seinem Tod in Berlin als Kunstmaler wirke, plagte derweil das schlechte Gewissen, obwohl er damals in bester Absicht gehandelt hatte und im Auftrag eines Kaplans die schöne Maria vor dem Zugriff von Plünderern beschützen wollte. 1994 schrieb er an Koepplin: „... mich bedrückt es, seit ich erfahren habe, daß es sich in der Schweiz befindet, warum man es nicht in der Öffentlichkeit zeigt. Denn LC hat es gewiß nicht gemalt, um es verborgen zu halten.“
Da für das Bild ein Entstehungszeitraum zwischen 1508 und 1509 in Betracht kommt, könnte die Art der Signatur in direktem Zusammenhang mit Cranachs Wappenverleihung am Dreikönigstag 1508 stehen. Madonna unter den Tannen?Bereits im Jahr 1900 hat der Cranach-Forscher Eduard darauf hingewiesen, dass es sich bei der Namensgebung der „Madonna unter den Tannen“ um einen offensichtlichen Fehler handelt. Zum einen ist auf dem Bild nur eine einzige Tanne zu sehen und zum anderen stehen die Bäume deutlich im Hintergrund. Die schöne Madonna befindet sich also nicht „unter den Tannen“, sondern hinter einer Mauerbrüstung vor einer weiten Landschaft mit Bäumen.
Obwohl die Bäume weit hinter der Madonna stehen, scheinen sie sich doch direkt auf die Madonna zu beziehen, indem sie sich über ihr zu einem schützenden Dach neigen und ihre Äste den Madonnenkopf fast zärtlich umspielen. Die Mutter-Kind-BeziehungIn derselben Zärtlichkeit, mit der die Natur das Hauptmotiv umfängt, hält die Mutter direkten Blickkontakt zu Jesus, ihrem Kind. Sie hält das nackte, unschuldige, Kind vorsichtig über einem prunkvollen Samtkissen. Mit ihren weichen Formen und der intimen Schilderung inniger Mutter-Kind-Beziehung folgt die Darstellung zwar noch der alten Tradition der so genannten „schönen Madonnen“. Doch in Kombination mit der nahezu „fotorealistischen“ Wiedergabe erhält das Werk eine herausragende Stellung innerhalb der altdeutschen Malerei. Der Weinstock und die Traube stehen bereits in alten Bildwerken für Christus und das Leben, aber auch für das Blut Christi und seine Auferstehung. Cranach hat sich in zahlreichen seiner Madonnen-Darstellungen dieses Attributes bedient, das er hier ebenso lebendig darstellt wie die kleinen Kinderhände, die danach greifen. Dieser Gestus sowie der direkte Blick zur Mutter lassen den Betrachter nicht nur den Moment erleben, in dem das Kind eine Beere greift, sondern weiterdenken, wie es die Frucht der Mutter reichen wird. Genau diese Momente werden in zahlreichen späteren Madonnen-Darstellungen Cranachs gezeigt. Die BurgMeist wird die Landschaft in Cranachs Bildern von einer Burg auf steil empor ragenden Felsen bekrönt. Es sind die ihm vertrauten Schlösser und Türme seiner fränkischen Heimat, möglicherweise auch die beeindruckenden Burgen entlang der Donau, wie er sie um 1500 vorfand, bestimmt aber die prunkvollen Bauten der Wettiner im kursächsischen Stammland, in dem er fast 50 Jahre gewirkt hat. Möglicherweise hat sich der Reformator Martin Luther von den Burgen seines Freundes Cranach zu dem Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ anregen lassen.
Der RingHunderte von Madonnenbildern sind in der Cranach-Werkstatt zwischen 1505 und 1550 entstanden. Einzigartig ist unsere Madonna nicht nur durch die meisterhafte Kunst ihrer Darstellung, sondern auch durch den Ring, der links neben dem Kissen auf der Steinbrüstung liegt. Er dürfte für ein ganz besonderes Verhältnis Cranachs zu diesem Bild stehen, denn er stellt ohne Zweifel den persönlichen Siegelring Lucas Cranachs dar, der oben mit Cranachs Initialen „LC“ versehen ist.
Die Art der Darstellung der Schlange entspricht dem Typus, den Cranach um 1509 mehrfach verwendet hat. Da die Physiognomien von Madonna und Kind nicht die italienische Stilistik Peruginos aufweisen, wie sie ab 1509 bis etwa 1512 bei seinen Madonnen zu beobachten ist, kommt ein Entstehungszeitraum zwischen 1508 und 1509 in Betracht. Damit könnte der Ring in direktem Zusammenhang mit Cranachs Wappenverleihung stehen. Ob die auffällig sorgsam und minutiös ausgeführte Madonna ursprünglich ein Dankes-Geschenk für den Kurfürsten war oder gar ein Huld-Geschenk für Maximilian I, der nur 4 Wochen nach Cranachs Wappenverleihung in Trient die Kaiserwürde erhielt, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Fest steht, dass Cranach nur ein einziges Mal seinen Wappenring auf einem Gemälde platziert haben dürfte. Die UnterzeichnungBevor Cranach mit der Ausführung des Gemäldes begonnen hat, hat er seinen Entwurf auf die grundierte Holztafel übertragen. Diese „Unterzeichnung“ war nicht für das Auge des Betrachters bestimmt, sondern stellte eine technische Hilfe für den Maler dar. Mithilfe der so genannten Infrarotreflektografie ist es möglich, die Unterzeichnung sichtbar zu machen. Da einige Farbpigmente infrarotes Licht bestimmter Wellenlängen nicht absorbieren, erscheinen sie transparent. Insbesondere die auf den Grundierungen liegende Zeichnungen, die in Infrarot absorbierenden Materialien ausgeführt wurden, z.B. kohlenstoffhaltige Tuschen, Steinkreiden oder Knochenkohlen, zeichnen sich in den aus der Analyse des Reflektionsverhaltens errechneten Graustufen-Bildern dunkel ab, auch wenn sie mit bloßem Auge durch die Überlagerung mit nicht absorbierenden Malschichten nicht wahrgenommen werden können. Es ist ein besonderes Erlebnis, mit moderner Technik eine Zeichnung sichtbar machen zu können, die zuletzt der ausführenden Maler vor 500 Jahren sehen konnte.
Auffällig ist die wahrscheinliche Verwendung eines Pinsels als Zeichenmedium, der rechts am Ärmel des blauen Umhangs in schwungvoll zum Einsatz kam. Hier stehen unterschiedlich starke Linien nebeneinander, die mit ihren an- und am Strichende wieder abschwellenden Dicken eher für einen breiteren Haarpinsel sprechen als für einen Federkiel. Die längeren, in einem Zug gesetzten Linien weisen keinerlei Anzeichen von Unsicherheit auf, sondern sprechen für eine zügige und freie Arbeitsweise. Wie bei anderen Cranach-Werken nachweisbar, wird diese freie Arbeitsweise begleitet von einer definierten Übertragungsroutine mittels Form gebender dünner Linien, deren Technik im vorliegenden Fall nicht näher verifizierbar ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang der waagerecht liegende Unterarm des Kindes, dessen Kontur eine deutliche Korrektur erfahren hat, indem Cranach den Arm nach oben versetzt hat. Dadurch wird die ursprüngliche Zeichnungslinie vom Unterarm bis zum Daumen sichtbar. Eine noch wichtigere kompositionelle Änderung offenbart die helle Fläche des rechten Augenlids der Madonna. Offensichtlich wurde nachträglich die Blickrichtung zum Kind nach unten korrigiert, um noch intensiveren Blickkontakt zu erhalten.
Die Holztafel
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